„Der Körper ist der Tempel des Heiligen Geistes“

Seit vielen Jahren bietet Bewegungspädagogin Karin Gerhard in unserer Gemeinde den Meditativen Tanz an. In einem ausführlichen Interview berichtet sie davon, welche Bedeutung die Wahrnehmung des eigenen Körpers hat und wie das Innehalten und die Stille den Weg in den kontemplativen Raum ebnen können:

Ein Sprichwort lautet „Wer rastet, der rostet“. Warum ist körperliche Bewegung so wichtig im Leben?

Karin Gerhard: „Wer rastet, der rostet“ heißt zunächst einmal, dass etwas verloren geht, wenn man sich nicht in Bewegung hält. Bewegung hat etwas mit Lebendigkeit und mit Gesundheit zu tun und auch mit Kreativität, weil man die vielen Möglichkeiten sich zu bewegen mehr und mehr entdeckt. Sich bewegen hat auch mit Freiheit zu tun, wenn man lernt, sich in der Bewegung als ganzer Mensch auszudrücken und nicht nur Übungen absolviert.

Wer sich bewegt, bleibt körperlich beweglich. Und geistig auch, oder?

Ja, da besteht ein großer Zusammenhang, den wir oft nicht richtig wahrnehmen. Wenn ich mich bewege und nachspüre, merke ich, wie viel Resonanz in den Körper hineinkommt, etwa in die Atmung und die Belebung der Muskulatur. Aber man hat auch das Gefühl, der Geist wird wach und aufmerksam. Die Seele ist angesprochen, mal fühlt man sich beschwingt, mal ruhig.

Deine Angebote in der Gemeinde – etwa der Meditative Tanz oder das Körpergebet – haben viel mit Bewegung zu tun. Was ist dir dabei besonders wichtig?

Der Meditative Tanz und das Körpergebet hat sich in meinem Leben zunächst vor allem aus meiner körperlichen Bewegungserfahrung entwickelt und sich dann mehr und mehr hinein in den Zusammenhang mit dem seelisch-geistigen und geistlichen Raum geöffnet. Paulus hat gesagt: „Der Körper ist der Tempel des Heiligen Geistes.“ Mir geht es darum zu erkennen, dass Bewegung auch mit einer tiefen Bewusstseinsdimension meiner selbst zu tun hat und es nicht nur um den Körper mit seinen Muskeln, seiner Atmung und allem anderen, was bei Bewegung eine Rolle spielt, geht. Es geht weit darüber hinaus. Wenn ich die Wahrnehmung – das Empfinden, das Spüren, das Lauschen, das Hinschauen in der Tiefe – mehr einschließe in die Bewegung, dann komme ich auch in einen anderen Erfahrungsraum. Ich spüre in der Tiefe eine Verbindung bis in die andere, göttliche Dimension hinein. Meine Wahrnehmung kann ich immer mehr schulen und immer genauer spüren. Beim Meditativen Tanz braucht es die Ruhe, die Stille, die Zeit, eine Bewegung mit zu erleben und nicht alles nur schnell zu machen. Es braucht das Innehalten. Aus der Ruhe entsteht dann die Bewegung und klingt in der Ruhe wieder aus. Aus der Ruhe entsteht ebenso die Beschwingtheit des Tanzens.

Der Kreis hat beim Meditativen Tanz eine große Bedeutung. Welche?

Das Zentrum ist immer geschmückt mit Blumen und mit Kerzen und ist ein Symbol für die göttliche Gegenwart. Wenn man im Kreis auf die Mitte zugeht, öffnet man sich dieser Gegenwart, die immer da ist. Und wenn man sich wieder entfernt aus der Mitte, bleibt man trotzdem verbunden. Diese Verbundenheit geht durch den ganzen Kreis, denn wir tragen das Zentrum auch in uns selbst. Wir können uns über die Hände verbinden und über dieses tiefe Bewusstsein. Das Meditative Tanzen hat immer mit dieser göttlichen Wirklichkeit zu tun, ihr kann man sich in jedem Tanz-Schritt neu öffnen.

Wie war deine Entwicklung hin zum Meditativen Tanz?

Ich habe eine Ausbildung als Bewegungspädagogin nach Dore Jacobs. Die Wahrnehmung des Körpers gehörte dabei zu den wichtigsten Dingen. Es ging darum, was Wahrnehmung bewirkt, wenn sie in der Bewegung mehr Bedeutung hat. Ich bin damals berührt worden von dieser anderen Sichtweise. Bewegung hat mich dadurch viel mehr berührt in meinem seelischen Sein. Mir wurde so viel bewusster, wie es mir seelisch geht und was in mir vorgeht, auch in meiner Gedankenwelt. Ich habe dann gemeinsam mit einer Therapeutin untersucht, wie die Körperarbeit in der Psychotherapie wirksam werden kann. So habe ich den therapeutischen Aspekt von heilsamer Bewegung in der Seele erforscht und deren Zusammenhang mit unserem Denken. Schließlich kam ich zur nächsten Dimension, dem Innersten. Ich bin mit der Meditation in Berührung gekommen und habe ein Gespür dafür entwickelt, dass mehr in uns wohnt, als wir normalerweise wahrnehmen. Wenn wir von Gott sprechen, meinen wir meist den Gott außerhalb unserer selbst. Es gibt aber eine Dimension, wo Göttliches erfahrbar wird in uns. Ich habe schließlich eine Ausbildung gemacht zum Meditativ-Sakralen Tanz, bei der das Körpergebet eingebunden war. Als ich dann noch tiefer erfuhr, was Innehalten und Stille bedeutet, bin ich in den kontemplativen Raum mehr und mehr hineingewachsen und von dort in ein freieres Fühlen, Denken und Handeln.

Muss man sich viel Zeit nehmen, um an diesen Punkt zu kommen? Hast du einen Ratschlag, wie man den spirituellen Zustand der Meditation oder Kontemplation erreichen kann?

Man muss sich klarmachen, dass es ein Prozess ist. Es ist ein Weg der Wahrnehmung und des Spürens und der bringt mich langsam auf eine andere Ebene. Das kann ich einüben. Die Kontemplation ist ein Gebet ohne Worte, das man jeden Morgen oder Abend betet. Man kann die Stille jeden Tag in sein Leben hineinholen. Man kann sich Zeit geben, still zu werden, sich der Gegenwart Gottes ohne Worte zu öffnen und zu schauen, was geschieht. Es heißt für uns oft auch, dass wir bereit sein müssen, uns etwas Ungewohntem zu öffnen. Sich der Stille ohne Worte zu widmen, ist uns ja oft fremd.

Welche Rückmeldung hast du von Teilnehmerinnen dazu, was diese Erfahrung angeht?

Ich höre häufiger, dass Menschen sagen: Wenn ich auf diese Weise, sei es mit dem Tanz, dem Körpergebet oder der Kontemplation, wahrnehme, kann ich mich wieder mit dem, was über Gott erzählt wird, befreunden. In der Gruppe sind oft Menschen, die eher auf der Suche sind, als Menschen, die mit einem festen Glauben unterwegs sind. Viele fühlen sich berührt, wenn der Körper als ganzer Leib, d.h. mit seiner seelisch-geistigen Ganzheit eingebunden und damit auch mit der göttlichen Wirklichkeit verbunden ist. Manche fühlen sich auch in der Stille gut, weil endlich Frieden im eigenen Innern herrscht und die Unruhe des Geistes weg ist. Auch mit Gebärden zu beten, ist eine enorm tiefe Erfahrung, wenn man sich darauf einlässt.

Und was erfahren die Menschen, die schon sehr lange dabei sind?

Bei ihnen ist eine tiefe Erfahrung möglich. Die Erfahrung, was innerer Frieden in uns bedeutet. Es ist dieser tiefe Friede, der uns in Gott ruhen und aus Gott handeln lässt. „In Dir leben, bewegen wir uns und sind wir.“ Dieses Paulus-Wort drückt gut aus, was in der Kontemplation (Gebet des Schweigens), dem Körpergebet und dem Tanz lebendige, ganz persönliche Erfahrung werden kann und dann auch unseren Alltag umfasst.

Interview: Katrin Martens