Trägt die Friedensethik der Evangelischen Kirche noch?

Bergerhauser Dialog mit Nikolaus Schneider

Der Bergerhauser Dialog am 17. Oktober hatte die aktuelle Diskussion zur Friedensethik in der Evangelischen Kirche zum Thema. Bis zum Krieg in der Ukraine war die in einer Denkschrift von 2007 beschriebene Friedensethik Konsens in der EKD, aber seit dem Angriffskrieg werden Stimmen lauter, die diesen Konsens infrage stellen. Der ehemalige rheinische Präses und EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider hielt den Vortrag bei diesem Dialogabend vor ca. 90 Zuhörer/innen, er erläuterte den Stand der Diskussion und begründete seine persönliche Haltung.

Zeitenwende in der Friedensethik?

Die zentrale Frage seines Vortrages war: Trägt die Friedensethik der Evangelischen Kirche noch, oder brauchen wir eine neue? Ist die Zeitenwende, die Kanzler Olaf Scholz in dem russischen Angriffskrieg sieht, auch eine Zeitenwende für die Haltung der Protestant/innen in Sachen Friedensethik?

Nikolaus Schneider steht hinter der Friedensethik der EKD

Um diese Frage zu beantworten, erläutert Nikolaus Schneider zunächst das Zustandekommen und die Bedeutung der EKD-Friedensdenkschrift von 2007, „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“, die den gerechten Frieden als Kontrapunkt zur Lehre des gerechten Krieges setzt und Krieg grundsätzlich als Scheitern aller lebensdienlichen Politik sieht.

Er betont dabei auch, dass die Lehre vom „gerechten Frieden“ nicht gleichgesetzt werden kann mit einem radikalen und uneingeschränkten Pazifismus. Die Verkündigung Jesu sieht er dabei zwar als Quelle des Pazifismus, gibt aber zu bedenken, dass Jesus das staatliche Handeln nicht ausdrücklich im Blick hatte.

Kritik von außen an der Friedensethik

Nikolaus Schneider geht auch ausführlich auf die Kritik von außen ein, die so weit geht, in dem Leitkonzept der Evangelischen Friedensethik ein kontrafaktisches Prinzip zu sehen. Er stellt sich dabei ausdrücklich gegen eine „neue“ Sicherheitsordnung, die Frieden schaffen will, indem immer effektivere Waffensysteme entwickelt werden, und sieht deshalb in der politischen „Zeitenwende“ keine „Zeitenwende“ für die evangelische Friedensethik.

Eine verfasste Friedensethik ist seiner Überzeugung nach nicht wie ein Handbuch zu lesen, dem man die richtigen Entscheidungen in Kriegszeiten entnehmen kann. Vielmehr beruft er sich auf Dietrich Bonhoeffer, wenn er darin eine geistige und geistliche Auseinandersetzung vor Gott und der Welt sieht, die zu verantwortlichem Handeln und Entscheiden befähigen will. Am Ende dieses Entscheidens steht dann laut Nikolaus Schneider nicht ein simples „richtig“ oder „falsch“ sondern die Anerkenntnis der Ambiguität, also der Mehrdeutigkeit.

Dietrich Bonhoeffer: „Der Sinn der gesamten ethischen Gebote Jesu ist vielmehr der, dem Menschen zu sagen: Du stehst vor dem Angesicht Gottes, Gottes Gnade waltet über dir, du stehst aber zum Andern in der Welt, musst handeln und wirken,so sei bei deinem Handeln eingedenk, dass du unter Gottes Augen handelst…“

(zitiert nach Gremmels/Huber, Dietrich Bonhoeffer Auswahl Bd 1, Gütersloh 2006, S. 96)

Ganz konkret auf den Ukraine-Konflikt bezogen heißt das, wir stecken in einem Dilemma: Sowohl das Handeln, wie zum Beispiel das Liefern von Waffen, als auch das Nichthandeln, kann bedeuten, dass wir schuldig werden können.

Drei Thesen

Zu seiner Überzeugung, dass die Friedensethik der Evangelischen Kirche auch in dieser Krisenzeit trägt, stellt er am Ende des Vortrags drei Thesen auf:

These 1:
„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“ – das Grundbekenntnis der „alten“ Friedensdenkschrift von 2007 trägt unsere evangelische Friedensethik auch in den gegenwärtigen Zeiten.

These 2: 
Der in der Friedensdenkschrift von 2007 entfaltete Leitbegriff „Gerechter Friede“ trägt evangelische Friedensethik, solange er nicht mit absoluter „Sicherheit“ gleichgesetzt wird.

These 3:
Die Friedensdenkschrift von 2007 setzt auf den Vorrang des Zivilen und auf das Primat der Gewaltfreiheit. Diese Gewichtung halte ich für tragfähig – auch und gerade für unsere gegenwärtigen Krisen.

Den Wortlaut zur Erläuterung der Thesen finden Sie hier zum Download

Engagierte Diskussion

Die Stühle wurden knapp im Gemeindesaal

Die Diskussion im Anschluss an den Vortrag zeigte, dass auch unter den Zuhörer/innen ein breites Spektrum von verschiedenen Ansichten vorhanden war und dass es bei diesem zentralen Thema ein großes Bedürfnis zum Meinungsaustausch gab. So betonten Vertreter/innen des Friedenskreises, dass es auch andere Möglichkeiten des Widerstands gegen einen Aggressor gibt, wie z.B. der „Soziale Widerstand“. Andere vertraten die Ansicht, dass auch eine Verhandlungslösung nur aus einer Position der militärischen Stärke erreicht werden könne. Ein weiterer Schwerpunkt war die Haltung des Patriarchen Kyrill von der Russisch-Orthodoxen Kirche. Dessen Verhalten und seine Äußerungen zu dem Krieg wurden von Nikolaus Schneider sehr kritisch kommentiert.

Olaf Kudling

Veranstaltungshinweis:

Weitere Veranstaltung mit Nikolaus Schneider zusammen mit Martin Arnold am 16. November:

Im Forum Billebrinkhöhe, Billebrinkhöhe 72, findet am 16. November, 19 Uhr ein theologisch-ethisches Streitgespräch statt, zu dem der Friedenskreis und die Gemeinde Bergerhausen einladen. Nikolaus Schneider und Martin Arnold werden im Rahmen der Friedensdekade darüber diskutieren, was der Satz „Selig sind, die Frieden stiften“ in Zeiten des Ukraine-Krieges konkret bedeutet. Welche Haltung können Christen aus der Bergpredigt herleiten? Gibt es Grenzen bei der Forderung nach Gewaltfreiheit? Christine Kostrzewa wir das Gespräch moderieren.