Vom Bedürfnis, berührt zu werden

Interview mit der Physiotherapeutin Christine Bomheuer

Christine Bomheuer

Christine Bomheuer arbeitet in der Praxis für Physiotherapie Peter Schulz an der Rellinghauser Straße.

Welche Rolle spielt die Berührung bei Ihrer Arbeit?

Berührungen spielen eine sehr große Rolle. In der Coronazeit noch einmal mehr, weil die Menschen sehr vorsichtig mit Berührungen im Freundes- und Bekanntenkreis waren. Sie haben es sehr vermisst, berührt und angefasst zu werden. Ich denke, im Körper spiegeln sich auch Dinge, die uns seelisch bedrücken oder belasten. Das kann man durch Berührung erspüren und vielleicht auch lösen. Oder man kann es ansprechen. Berührungen sind für mich sehr wichtig.

Warum sind Berührungen so wertvoll für das Wohlbefinden der Menschen?

Man sagt ja: „Ich bin berührt worden.“ oder „Ich bin gerührt.“ Ich glaube, es ist ein existentielles Bedürfnis von Menschen, berührt zu werden. Manche Menschen lassen sich eher berühren, manche haben eher Probleme damit, das merke ich auch bei meiner Arbeit. Die meisten Menschen genießen es aber, wenn sie sich durch Berührung entspannen und auf sich selbst besinnen können. Dadurch spüren sie sich selbst noch einmal anders.

Warum kann man eine Körperstelle bewusster wahrnehmen, wenn sie berührt wird?

Man lenkt dann seine Aufmerksamkeit an diese Stelle und nimmt sie besser wahr. In der Physiotherapie arbeiten wir an Stellen, an denen es angebracht ist, auch mit Druck. Dadurch lässt manchmal ein Schmerz nach. Wenn ein solcher Druck von außen kommt, kann man sich besser darauf ein- lassen, als wenn man ihn selbst ausübt.

Welche Auswirkungen hatte der fehlende Körperkontakt in der Corona-Pandemie für viele Menschen?

Ich glaube, dass viele Menschen bedrückter waren. Das hatte auch viel mit Angst zu tun: die Angst vor der Ansteckung, die Angst, jemanden anzustecken. Wenn man Angst hat, ist man eher angespannt als entspannt. Die seelische Belastung, die die meisten gespürt haben, lässt sich auch im Körper wiederfinden.

Die berühmte Familientherapeutin Virginia Satir hat einmal gesagt: „Wir brauchen vier Umarmungen pro Tag, um zu überleben, acht Umarmungen pro Tag, um uns gut zu fühlen, und zwölf Umarmungen pro Tag, um innerlich zu wachsen.” Ist da etwas Wahres dran?

Ich glaube, das ist von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Der eine braucht es mehr, der andere weniger. Ich würde aber auf jeden Fall sagen, dass Umarmungen und Berührungen sehr wichtig sind, auch um zu wachsen und fröhlich ins Leben gehen zu können.

Fließt Energie zwischen Menschen, die sich berühren?

Ja, das würde ich bestätigen. Diese Energie kann gut sein, sie kann aber auch nicht gut sein.

Es gibt eine Sehnsucht nach Berührung, aber auch Berührungsängste. Wie findet man da den richtigen Weg?

Das ist individuell sehr verschieden. Bei meiner Arbeit geht es darum, dass man sich vorsichtig annähert und nachfragt, ob es in Ordnung ist mit dieser Art von Nähe und mit diesem Kontakt. Das kann man jeweils nachfragen und dann auch ausprobieren.

Berührt werden kann man nicht nur körperlich, sondern auch seelisch oder geistig. Gibt es Erlebnisse, die Sie tief in Ihren Gefühlen berühren?

Was mich sehr berührt, auch weil es wegen Corona nicht so möglich war, ist die Musik. Ich singe im Chor und merke, wie wichtig dort die Gemeinschaft ist und die Möglichkeit, miteinander singen zu können. Auch Musik wieder live und nicht per Zoom erleben zu können, ist ein schönes Gefühl. Wieder zusammen kochen zu können, am Tisch zu sitzen, wieder Freunde zu sehen, ins Theater zu gehen, das genieße ich sehr. Es ist einfach etwas anderes, all das live zu erleben statt am Bildschirm.

Interview: Katrin Martens

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